Wednesday, November 17, 2010

David Schildknecht: Riesling's Gobal Triumph: A Pyrrhic Vistory? - Rieslings globaler Triumph: Ein Pyrrhussieg?

Picture: David Schildknecht at the 1. International Riesling Symposium at Schloss Rheinhartshausen in the Rheingau in Germany

Heute mal ein Posting auf Deutsch aus besonderem Anlass - Today, a posting in German, with of a special reason.

Der Hoehepunkt des 1. International Riesling Symposium, das am 11. und 12. November auf Schloss Rheinhartshausen im Rheingau, stattgefunden hat, war - neben den 4 aussergewoehnlichen Weinproben - die Rede von David Schildknecht. Er ist unter dem Thema "Rieslings Globaler Triumph: Ein Pyrrhussieg?" vielen Fragen nachgegangen, die uns Rieslingfreunde alle unter den Naegeln brennen. Seine Antworten treffen allerdings sicher nicht nur auf Zustimmung.

David Schildknecht hat seinen Vortrag auf Englisch gehalten und eine gedruckte deutsche Version an die Konferenzteilnehmer verteilt. Um seine Thesen einem breiteren deutschsprachigen Publikum zugaenglich zu machen, haben David und ich uns darauf verstaendigt, die deutsche Version seiner Rede hier auf Schiller Wine ins Netz zu stellen. David wuerde sich freuen, von Ihnen zu hoeren, hier unter den Kommentaren vorzugsweise.

Eine ausfürhlichere Kritik des Projekts Grosses Gewächs hat David Schildknecht in einer englischen Fassung beim eRobertParker veröffentlicht: http://dat.erobertparker.com/bboard/showthread.php?t=228349&highlight=Problem%28s%29+Grosses+Gew%E4chs

Meine Impressionen - in Englisch - von dem 1. International Riesling Symposium sind hier zu finden.

David Schildknecht - Rieslings globaler Triumph: Ein Pyrrhussieg

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, verehrte Mitglieder des Rheingauer VDPs und Winzergäste, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

es ist mir eine große Ehre, den ersten Vortrag dieses ersten Internationalen Riesling Symposiums halten zu dürfen. Ich möchte mich besonders bei meinem Freund Wilhelm Weil bedanken für den Vorschlag und die Einladung, hier aufzutreten. Sollte ich mich dazu noch, auch nur flüchtig, als vom Riesling selbst hierzu berufen fühlen – von jenem Lebewesen also, das seit 30 Jahren mein Herz und meine Fantasie beherrscht und meine Zeit und Lippen beansprucht hat wie sonst nur meine liebe Frau (Madame Pinot nicht ausgenommen) – so müsste ich um einen unverschämten Hochmut büßen. In der Tat empfinde ich tiefe Demut in Anbetracht der Größe des Rieslings und der Arbeit etlicher Generationen von Winzern, die diese uns offenbart haben, einschließlich den hundertjährigen Bemühungen des VDPs, überhaupt hier meine vielleicht zum Teil frische doch auch freche Meinungen zum Thema Rieslings zu äußern, geschweige denn den internationalen Triumph dieser Rebsorte und ihren lang ersehnten Wiederaufstieg auf irgendeine Weise in Frage zu stellen.

Bei der 2008er Prowein in Düsseldorf habe ich unter dem Titel "Riesling als internationale Sorte: Eine Herausforderung für die deutschen Winzer“ vorgetragen, und ich werde um keine Entschuldigung bitten, einige Zeilen aus jenem Text heute übernommen zu haben in der Hoffnung, die damit geäußerten Ansichten verdienen weitere Aufmerksamkeit. Entschuldigen werde ich mich auch nicht dafür, wenn ich mich an dieser Stelle etwas mehr mit deutschem Riesling als mit Riesling Frankreichs, Österreichs oder anderer Länder beschäftige, zumal dieses Symposium vom Rheingauer VDP ins Leben gerufen wurde und die Art von Überlegungen, die ich bei Winzern, Fachhändlern und Weinliebhabern im Allgemeinen anzuspornen erhoffe, meines Erachtens in Bezug auf deutschen Riesling besonders klares Profil aufweisen. Zuletzt möchte ich Sie, liebe Zuhörer, darauf aufmerksam machen, dass ich diese Ideen zunächst in deutscher Sprache zusammengefasst und aufgeschrieben habe, was hoffentlich trotz linguistischer Unzulänglichkeiten einem Leser meines gedruckten deutschen Textes auffallen wird. Ob ich sie in meiner Muttersprache schlüssig werde artikuliert haben können, wird allen Zuhörer binnen kurzem klar.

Um die Frage meines Titels sofort anzupacken, die Herausforderung und, wie ich meine, Gefahr für Winzer vom neuerlichen Siegeszug des Rieslings liegen eben darin, dass Riesling nicht nur als Held der Geschichte, sondern als Träger der Qualität und Taktangeber der internationalen Aufführung fungiert. Insofern aber die Betonung auf "Riesling" fällt und dementsprechend Riesling d'Alsace, der Wachau, des Kamptals oder der deutschen Anbaugebiete unter dem Gesichtspunkt, oder vielleicht besser gesagt, unter dem Geschmacksaspekt "Riesling" betrachtet werden, so werden Gastronomen und Händler außerhalb der etabliertesten Heimatsorte dieser Sorte dazu neigen, Riesling als (wenn auch immer breitere) Nische zu betrachten, die beliebig auszufüllen sei, ohne dass man die Eigenständigkeit des Rieslings eines bestimmten Landes oder Anbaugebietes zureichend anerkennt oder schätzt. Und diese Nische dürfte trotz wachsender Popularität des Rieslings allmählich überfüllt werden, denn die Fläche dieser Sorte wächst ständig weltweit. Beispielsweise hat sie sich im amerikanischen Bundesstaat Washington innerhalb des letzten Jahrzehnts fast verdreifacht und in Kalifornien, wo die Sorte bis dahin einen starken vierteljahrhundertlangen Rücktritt erlitten hatte, mehr als verdoppelt.

Dabei hätte einem vergeben werden müssen, der glaubte, die Winzer der bestbekannten Rieslingländer seien selbst ihrer Rieslingidentität gar so sicher.

Riesling genoss in den 70er und 80er Jahren auch deutschlandweit und unter deutschen Gastronomen und Restaurateuren keinen so besonderen Ruf. Man trank eher französisch, während die deutschen Winzer und Modemacher sich als Ziel setzten, zu beweisen, dass "auch wir" trockene und angeblich allein aus jenem Grund beim Essen ernst zu nehmende Weine keltern könnten. Trotz vermutlicher Generationen – sogar Jahrhunderte – während welcher deutsche Rieslinge regelmäßig bis zur Trockenheit oder (nach dem heutigen Gesetz) Halbtrockenheit durchgärten, fiel es den meisten deutschen Winzern anno 1980 offensichtlich schwer, ausgezeichnete, harmonisch trocken schmeckende Rieslinge auf die Flasche zu bringen, indem man die Moste einfach durchgären – jedoch alles andere im Weinberg und im Keller unverändert – ließ. Im ersten Jahrzehnt meiner eigenen intensiven Beschäftigung mit deutschem Riesling galten für mich weder "trocken" noch "halbtrocken" auf Etiketten gerade als Empfehlung, und ehrlich gesagt besorgte und verblüffte oft uns Ausländer, warum die Deutschen oftmals krass säuerlich und bitter schmeckende Weine mit anscheinender Freude herunterschluckten und als einmalig-kochkunstfreundlich und zukunftsweisend priesen.

Fürwahr gab es Ausnahmen, vor allem bei Winzern, die keine "trocken-Welle-surfen“ brauchten, weil sie der "süßen Welle" bereits widerstanden hatten, und es sind zum Teil die Kenntnisse solcher Art von Winzern, die immer mehr deutsche Winzer dazu geleitet hatten, in den 90er Jahren und noch mehr im vorigen Jahrzehnt wirklich feine trockene Rieslinge nochmals keltern zu können.

Inzwischen ist "trocken" auf einem Weinetikett für deutsche Konsumenten praktisch zum Imprimatur der sozialen Akzeptabilität geworden – um gar nicht vom Wahrzeichen des guten Geschmacks zu reden. Bis vor kurzem jedenfalls beschäftigte sich die gehobene Gastronomie Deutschlands – mit Ausnahme von kleinsten Mengen edelsüßem Riesling – fast ausschließlich mit gesetzlich trockenem Wein. Und als der VDP sich ansetzte, eine Lagenklassifizierung zusammenzustellen, wurde diese bis auf die letzte Entwicklungsetappe unter dem gleichzeitigen Aspekt der Etablierung einer Kategorie trockener Weine betrachtet und ausgeführt, ja sogar fast damit gleichgesetzt. Die "wir auch"-Mentalität blieb, während die erzielten trockenen Weine im Inland längst schon den totalen Sieg hätten deklarieren können und im Ausland auch immer mehr Erfolg erfuhren. Dabei ist allerdings eine stattliche Menge an restsüßem deutschen Riesling geblieben – je nach Anbaugebiet – die perverserweise fast nur im Ausland gefragt wurde, dort aber mit wachsender Begeisterung (in Amerika, die Arbeit der Importeure Terry Theise und Rudi Wiest maßgeblich an jenem Erfolg beteiligt). Die Kategorie des alkoholleichten, restsüßen Riesling Kabinetts schien und scheint noch außerhalb vom Export und von bestimmten Anbaugebieten fast vom Aussterben bedroht.

Während die Deutschen aus Frankreich das angebliche Gesetz der Weintrockenheit am Tisch hierher holten und ihr "auch wir" mit mindestens einem Auge nach jenem Land gerichtet äußerten, versuchten paradoxerweise die vignerons d'Alsace in den 70er und 80er Jahren ihre Weine im Ausland besser bekannt zu machen, beziehungsweise diese zu "erklären," indem man sie schlicht im Kontrast zum deutschen Wein charakterisierte. "Bei uns klingen die Weinnamen zwar alemannisch," hieß es, "doch schmecken die Weine trocken." Seit jener Zeit aber hat sich die Praxis alsacienne so aufgelockert und verändert, dass bei Weinen aus mehreren Rebsorten merkliche Restsüße die neue Regel sei, zunehmend auch für Einzellagenweine aus Riesling. Jetzt hört man öfters im Ausland die Klage der Händler und Restaurateure sowie Konsumenten – die dann zuweilen als Begründung der Ablehnung jener Kategorie angeführt wird – "Wie sollten wir wissen können, ob ein bestimmter Elsässischer Wein süß schmeckt und wenn schon, dann wie süß?"

Österreichs Auftritt auf der Weltbühne (als Held wohlgemerkt, denn die Rolle des Bösewichts hatte es schon mal im 1985er Weinskandal gespielt) fand vertretbarerweise in Deutschland statt, als man dort in den frühen 90ern die Qualität des Wachauer Rieslings erkannte. Allerdings lief Österreichs Weinaufstieg auch nicht ohne ein bissel Paradox was Riesling angeht, denn Grüner Veltliner wurde bald und bleibt international der Star der Rot-Weiß-Rot-show.

Bei der Überlegung, wie denn die Winzer dieser drei Länder vom Aufschwung des Rieslings weiter profitieren können, ohne einen Sinn für oder eine Anerkennung ihrer Eigenständigkeit einzubüßen, ist es aufschlussreich, kurz mal den Zustand der internationalen Lieblingssorte in Schwarz-Rot – nämlich Pinot Noir – zu vergleichen. Als die Winzer Oregons 1986 ihr Pinot Noir Celebration begründeten – eine Veranstaltung, die den Ruf, ja sogar die Heilsbotschaft des Pinots weit verbreitete und der im anschließenden Jahrzehnt regelmäßige internationale Treffen in Kalifornien, Australien, und Neuseeland nachfolgen sollten – so konnten die eingeladenen Winzer Burgunds fast genauso viel wie die Oregoner davon profitieren. Auch wenn Pinot als internationale Sorte anerkannt werden sollte, dürfte Burgund als Maßstab der Pinotqualität fungieren, ohne um seine Lorbeeren zu bangen. Wenn auch die Stilistik des Pinots inhomogen ist, so werden dennoch fast immer (jedenfalls wörtlich) die gleichen Tugenden gepriesen und die gleichen Barriques in ähnlicher Ausbauart verwendet. "Heiliger Gral des Pinots" nannte man sogar die besten Burgunder, keineswegs witzelnd, und es sind immer noch nur die wenigsten Pinots aus anderen Ländern – die Giocondas, Kesselers oder Marcassins – die sich überhaupt einmal dem Preis eines burgundischen Grand Crus annähren könnten.

Seit 2007 gibt es im Bundesstaat Washington in den U.S.A. ein Riesling Rendezvous in ähnlichem Format und mit ähnlichem Zweck wie Oregons I.P.N.C. Die Deutschen Winzer mögen hier vielleicht – und wenn schon, dann verständlicherweise – die Rolle übernehmen, die die Burgunder beim Pinot spielen. Schließlich hat man am Rhein und an der Mosel eine lange, größtenteils glorreiche Tradition mit Riesling, seit die Zisterzienser im Mittelalter diese Sorte hier genauso gefördert haben wie in Burgund den Pinot. Aber man sieht leicht, welche merklichen Unterschiede es gibt. Die Glorie des deutschen Rieslings ist nicht ganz so kontinuierlich wie die des burgundischen Pinots und die hohen, Cru Classé-ähnlichen Preise noch weniger: Die gab es für deutschen Riesling zuletzt vor dem Ersten Weltkrieg. Außerdem haben les Alsaciennes und die Wachauer mit ihrem Clos St. Hune und Kellerberg Clos St.-Urbain und Singerriedel bereits ein stattliches – unter den trockenen Rieslingen ein vielleicht sogar Maßstab setzendes – Preisniveau erreicht. Vor allem aber fällt einem die stilistische Vielfalt auf, dessen Gegenstück im Pinot Bereich praktisch fehlt. Es herrscht ein breites Spektrum an Alkohol- sowie an Restzuckerwerten und auch des Ausbaus, von dem Stahltanks, Betonbehälter, Fuder, Halbstücke etc. in ihren völlig verschiedenen Größen nur äußerliche Merkmale sind.

Gibt es trotz jener Vielfalt gemeinsame Tugenden oder Maßstäbe der Qualität, die Rieslingweine aus diesen drei Ländern gemeinsam haben? Ich glaube schon. Doch etwas anderes hat Vorrang. Es gilt vorerst zu erkennen, dass die wichtigste Gemeinsamkeit dieser Rieslingweine gerade in jener Vielfältigkeit der Stilistik, des Terroirs und der Methode liegt. Um einen Spruch Nietzsches zu adaptieren, so können wir den Riesling, wie er einst den Menschen, "das Unfeststellbare" nennen. Insofern enthüllt sich der Riesling als menschlichste aller Weinarten; kein Wunder also, dass man sich den Kopf oftmals darüber verzweifelt zerbricht. Und wollte man dennoch gemeinsame Tugenden des Rieslingweines schlechthin aufzählen, so käme man verblüffend nah daran, die Tugenden des Pinots im dunklen Bereich zu wiederspiegeln: aromatische Feinheit, Frische, Eleganz, Wiedergabe des Jahrgangs und Terroirs. Das sind zwar amorphe Werte, jedoch nichtsdestoweniger wirklich und wichtig.

Wie können die Winzer und anderen Befürworter des Rieslings diese Rieslingtugenden, aber vielmehr gleichzeitig die Eigenständigkeit des Rieslings ihres bestimmten Anbaugebietes oder Landes besser darstellen und fördern? Wie insbesondere kann die Betonung in Deutschland nicht mehr auf das gelegt werden, was "wir auch", sondern auf das, was "nur wir" können? Das sind die Fragen, auf der ich einige Antworten jetzt kurz skizzieren möchte.

Bleiben wir vorerst beim Thema der Stilistik. Wenn es wahr sein soll, was ziemlich schlüssig argumentiert werden kann, dass Herkunft das einzige völlig Unverwechselbare beim Wein und Weinvermarktung sei, so ist dennoch dieses Unverwechselbare letztlich fast so gut wie gehaltlos, wenn mit keinen geschmacklichen Einzelheiten verbunden, und jene Einzelheiten neigen dazu, sich in einen Stil, oder vielleicht sogar eine Mehrheit an Stilen zusammenzufügen. In der Tat sprach und schrieb man schon im ausgehenden 19. Jahrhundert und lange danach – in Deutschland sowie in Österreich – von "Stilappellationen," wobei allerdings die Grundidee eine Geschmacksfamilie je nach Weinortschaft oder Weingebiet war, die wir heute eher dem so genannten "Terroir" zuschreiben würden; ein Begriff, den ich bald betrachten werde. In mehreren Ortschaften Deutschlands – vor allem in den Weingebieten Rheingau und Mosel-Saar-Ruwer – galt die Rebsorte Riesling als vorausgesetzt und seine Benennung auf einem Etikett oder einer Weinkarte wurde entsprechend für unnötig gehalten, ebenso wie die Namen "Chardonnay" oder "Pinot" nie in Zusammenhang mit den Ortsnamen Burgunds verwendet wurden. Unter den großen Rieslingweinen allerdings, gibt es seit mehr als zweihundert Jahren eine Sonderklasse – jedenfalls in gewissen Gebieten – aus Trauben die spät, selektiv, bzw. im edelfaulen Zustand gelesen wurden und einen entsprechenden Sondercharakter hatten, gewöhnlich mit dezenter, gelegentlich sogar hoher Restsüße. Mit dem Aufstieg des Riesling Rufs in der deutschen Gründerzeit, den Qualitäts- und Vermarktungsbemühungen der Vorgänger des heutigen VDPs sowie der Entwicklung der Kältetechnik und (ab 1914) der Sterilfiltrierung, gewannen Rieslinge mit Restsüße eine immer wichtigere Stelle, bis man in dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die außerordentliche Breite an Alkohol- und Restzuckerwerten erreicht hatte, die uns allen geläufig ist – mit Routinemäßigkeit von 7 bis 14% bzw. fast null bis hunderte Gramm reichend – und die sonst weltweit ihres Gleichen sucht.

Heute gibt es einen Trend auch seitens des VDPs, diese stilistische Breite einzuengen und wenn nicht gerade, wie es lange in Wörtern, die mich zum Zusammenzucken brachten, hieß, ein "einheitliches Geschmacksbild" herzustellen; so jedenfalls eine Erwartung, wirklich feine deutsche Rieslinge seien entweder gesetzlich trocken oder edelsüß. Mit dem heutigen Fokussieren auf trockenen Weinen, gipfelnd in Grossen Gewächsen, beschleunigt sich eine Tendenz bei manchen Gütern, alle Rieslinge gesetzlich trocken und mit 12.5 -14% Alkohol – also international betrachtet mindestens mittelgewichtig, jedenfalls alles andere als "leicht" – zu erzeugen. Wenn auch restsüße Rieslinge dabei sind, muss man ab der Trockenheitsgrenze von 9 Gramm zunehmend bis hin zu 40g oder mehr suchen, bis diese auftauchen. Diese bipolare Tendenz halte ich aus mehreren Gründen für bedauerlich.

Erstens bilde ich mir ein, es müsse einem im rein mathematischen und wissenschaftlichen Sinne einleuchten, es dürfte wohl was Interessantes, wenn nicht eine heilige Mitte der Balance oder der Harmonie zwischen 9 und 40 Gramm liegen. Verblüffenderweise jedoch spielt offensichtlich hier das unglücklich gewählte und weitgehend verachtete Wort "halbtrocken" eine Rolle, verweigern sich manche deutsche Winzer aus vermeintlicher Konsequenz und vorgeblichem Abscheu des Halbherzigen, dieses Niemandsland zu betreten. Es ist, als würde ein Küchenchef behaupten: „Das ist kein Fond und erst recht keine klassische Reduktion, erwartet also keineswegs, dass ihr so genannte "Soße" über meine Lippen kommt!" Oder als ob ein Komponist für Klavier entschlossen die zwei Oktaven der Tastatur auf beiden Seiten des eingestrichenen C vermeiden wollte.

Eine unverkennbare Eigenschaft des deutschen Rieslings ist es, Restsüße einfach wegzustecken, so dass ein Wein mit 10-20 Gramm oft nicht nur in jedem anderen Land der Welt, sondern auch unter Deutschen – falls blind verkostet – als trocken schmeckend (um gar nicht von "lecker" zu sprechen) bezeichnet würde. Es ist natürlich dieses Talent des Rieslings, das auch entzückende, sogar erfrischende und keineswegs klebrige Weine von recht hoher Restsüße ermöglicht. Wer allerdings glaubt, der Riesling besitze ein ähnliches Talent bezüglich Alkohol, der irrt sich meiner Erfahrung nach. Eher würde ich von einer Alkoholempfindlichkeit sprechen, was man im Elsass oder in der Wachau sehr leicht einsieht wenn man das Benehmen eines ganz trockenen Pinot Gris, Gewürztraminers oder Grüner Veltliners – vielleicht sogar aus gleicher Lage – mit dem eines Rieslings vergleicht. Fürwahr gibt es Ausnahmen, aber je höher (ab etwa 13%) der Alkohol eines Rieslings, umso schwerer tut er sich, gerade die Tugenden und mögliche Eigenständigkeit seiner Sorte und Terroirs zu vertreten. Umso mehr übrigens entspricht er jedenfalls oberflächlich einem Typus, der in fast jedem anderen Weißweingebiet der Welt und mit fast allen Rebsorten erreicht werden kann.

Unübersehbar, und mit Hinblick auf Klimaerwärmung meines Erachtens beängstigend, sind die Anzahl an Grossen Gewächsen (zum Beispiel in klassischen Uferlagen des Rheingaus), die 14% erreichen und mit diesem Alkohol sich geschmacklich schwer tun (um gar nicht von dem Konsumenten zu reden). Es war also alles andere als willkürlich oder inkonsequent, als die Rheingauer Winzer ihrer "Ersten Lage" eine Restzuckergrenze von 13 statt 9 Gramm setzten. Allein als Alkoholkontrolle ist das nützlich, Ausgleich von Säure und Süße gar nicht geachtet. Bedauerlich ist auch die Anzahl an Weinen in gerade der angeblich obersten Klasse, die durch Hefezusatz, Erwärmung, oder Rückverschnitt unter die 9 Gramm Schwelle gedrungen sind, während man weltweit von Idealen der "Natürlichkeit" und "Nicht-Eingreifen" spricht. Aus meiner langjährigen Erfahrung im Umgang – auch professionell – mit Wein-Essen Vermählungen und mit vorurteilsfreien Speisenden in kontrollierten Zuständen, sind gerade Rieslinge mit jener versteckten, als solche unmerkbare Süße weitgehend anwendbar, auch gerade wo andere Weine versagen.

Deutsche Rieslinge mit 10-20 Gramm Restzucker entsprechen nicht nur dem natürlichen Verlauf mancher Gärung, sondern einer langen Tradition. In Gerhard Troosts mehrmals aufgelegten Technologie des Weins, die nach etlichen glaubwürdigen, noch lebenden Quellen bis in die 70er als Bibel der Kellerwirtschaft in Geisenheim galt, können Sie eine Tabelle sehen und begleitende Argumentation lesen, nach der Rieslinge mit 7 bis 9 Gramm Säure und zwischen 10 und 20 Gramm Restsüße als geschmacklich "ausgeglichen" gelten kann. Und wer die Analysen von alten Rieslingschätzen Kloster Eberbachs und anderswo anschaut – gerade jene Art erstaunlich langlebiger Weine, deren einst glorreichen Ruf es angeblich wiederherzustellen gelten soll – merkt, wie oft es sich um gesetzlich halbtrockene Weine handelt. Mit anderen Worten, die Klassiker des deutschen Rieslingrepertoires sind auf die mittleren Oktaven der Tastatur regelmäßig angewiesen, wobei bemerkt werden muss, dass Spätlesen, Auslesen, oder Beerenauslesen damals (und bis in die 70er Jahre) charakteristischerweise weniger als die Hälfte der Restsüße hatten wie ihre heutigen Pendants. Paradoxerweise begegne ich einer erheblichen Anzahl an Winzern, die glauben, ein Riesling oberhalb der Grenze der gesetzlichen Trockenheit habe, ceteris paribus, bessere Aussichten auf Flaschenreife und Lebenslänge. Ich weiß nicht, ob dieser Glaube wissenschaftlich begründet werden kann, aber es ist merkwürdig, sie auch in halbtrockenfreien Kellern anzutreffen. Dass "feinherb", eine ins Englische unübersetzbare Bezeichnung, die aus welchen Gründen auch immer neuerlich manchen deutschen Weinliebhabern ihre Angst vor Restzucker zu überwinden geholfen hat, nicht gleichzeitig mit seiner Zulassung auf Etiketten gesetzlich als gleichbedeutend mit "halbtrocken" festgelegt und damit einen klaren Sinn verliehen wurde, gilt meiner Meinung nach als vertane Chance.

Einen besonderen Fall für deutsche Rieslingwinzer bildet der Umgang mit dem im 1971er Weingesetz eingeführten, jedoch aus der jahrhundertealten (im Rheingau zuerst verwendeten) Approbation "Cabinet" abgeleiteten Begriff "Kabinett." Angesichts seiner noch erstaunlich großen Resonanz hier wie im Ausland, wäre es vielleicht eine weitere vertane Chance, ihn nicht zu retten trotz der Ungereimtheit, einerseits ganz trockene Weine und anderseits jene mit sogar ganz hoher Restsüße damit zu bezeichnen. Trotzdem gäbe es glaube ich eine Möglichkeit, ihn für Weine, die ehrlich leicht sind, zu schützen, so wie die Wachauer dies mit ihrer Steinfeder und ihrem Federspiel im trockenen Bereich getan haben (mit entsprechenden alkoholischen Höchstgrenzen), denn mit Riesling kann man aus guten Lagen und Rebmaterial charaktervolle, trocken schmeckende, völlig harmonische Weine mit 10-12% Alkohol keltern; Parameter, die zunehmend unerreichbar scheinen in allen bis auf sehr wenigen Rebflächen der Welt, es sei denn mittels technologischer Manipulation. Und niedrigerer Alkohol wird vom Endverbraucher in mehreren Ländern zunehmend gewünscht. Auch hier merkt man, wie die alten Klassiker des Rieslingrepertoires gerade einen Bereich bewohnen, der zunehmend heutzutage unbewohnt steht. Allerdings sind auch die Klassiker Bordeauxs, Napas u.s.w. alkoholärmer als ihre heutigen Nachfolger gewesen, und die Wachauer Smaragd-Prototypen des großen Jahrgangs 1986 kommen den heutigen Federspielabfüllungen näher.

Meine Betrachtungen zur Stilistik haben bereits mehrmals das Thema „Tradition“ berührt, das vor allem mit Hinsicht auf Flaschenreife und Alterungsfähigkeiten einen weiteren Ansatzpunkt bildet, Rieslinge besonderer Herkunft herauszuheben. Die alten Klassiker, die ich mehrmals erwähnt habe, unterscheiden sich von den meisten heutigen Riesling-Abfüllungen nicht nur was Restsüße und Alkohol angeht, sondern vor allem auch in ihrem Ausbau, unter anderem durch Maischekontakt, Mostoxidierung und verlängerte Fassreife – vor 50 Jahren hieß das 24-36 Monaten, bis vor 30 Jahren regelmäßig noch elf, was auch eine laissez-faire Haltung dem biologischen Säuerabbau gegenüber mit sich brachte. Das Fazit lautet, meiner Meinung nach versteht sich, welcher Winzer wollte im Herzen nicht versuchen, einen Riesling wie den 1909 Eltviller Taubenberg Naturrein Kloster Eberbachs (aus einem ganz "kleinen" Jahrgang, höchstens 10.5% Alkohol) oder die 1911 Kiedricher [Gräfen-]Berg Auslese Weils (aus einem legendären Jahrgang), die mich vor einigen Wochen jeder mit seiner zeittrotzenden und filigranen Art bezaubert haben, noch heute zu keltern? Solche Frische und Komplexität nach fünfzig oder auch hundert Jahren können fast keine anderen Weine der Welt aufweisen, außer Riesling aus ganz besonderen Gegenden. Warum dann nicht versuchen, auch wenn der Wein "altmodisch" oder vorerst befremdend schmecken sollte? Tendenzen in jene Richtung sind neuerlich wieder zu spüren (auffallend die Entscheidung Kloster Eberbachs den just veröffentlichten 2007 Steinberger und seinen Nachfolgern fast zwei Jahre élevage zu geben). Abgesehen von den kurzfristigen Nachteilen des Spätabfüllens was Geldfluss angeht, sind solche Erforschungen erregend vielversprechend, denn auch im relativ jungen Weinalter können faszinierende Facetten, ja sogar ganze Dimensionen dadurch offenbart werden.

Die Vorteile der harmonischen Flaschenreife bei der Vermarktung bestehen, egal in welchem Alter der Riesling abgefüllt wird. Zwar wird noch die überwiegende Mehrzahl an Riesling auch aus besten Gütern Deutschlands oder Österreichs innerhalb anderthalb Jahren ausgetrunken, doch gibt es mutige, weitsichtige Winzer, die jetzt regelmäßig etwas an älterem Wein anbieten und in den U.S.A. ändern sich die Erwartungen, wobei 2-5 Jahre alte Rieslinge auf einer Weinkarte gar nicht als veraltert betrachtet werden. Doch rechtfertigen nur Flaschen aus den traditionell stärksten Rieslingländern jene Erwartung. Vielleicht meinen bis jetzt nur wenige bekannte deutsche Winzer es sich wieder leisten zu können, einige Topweine, die in nennenswerten Mengen abgefüllt werden, erst ab dem zweiten Jahr zu vermarkten (und vielleicht dann nur durch Vorsubskription). Bei den renommierten elsässischen Häusern Hugel und Trimbach allerdings ist das gang und gäbe.

Wie schon erwähnt, mag Herkunft unverkennbar sein, jedoch ist diese Tatsache in der Praxis nur von Bedeutung, insofern Herkunft Geruch und Geschmack beeinflusst, und gerade jener Einfluss, insofern ein solcher doch existiert, nenne ich Terroir. Terroir kann entsprechend bewertet werden je nachdem wie es die Qualität des Weines fördert, was auch indirekt in der Auflistung der erzielten Weinpreise oder Kartierung der Steuerbewertung der Weinlagen abgebildet werden kann. Aber Terroir selbst entspricht keiner Bewertung, sondern einem unumgehbaren Einfluss des Bodens und Kleinklimas auf die Reben und ihre Frucht, in welchem Standort auch immer, es sei denn, man versuche diesen Einfluss ihrer Umgebung auf die Metabolik einer Pflanze ganz allgemein zu verleugnen. Folglich habe ich, ehrlich gesagt, wenig Geduld mit einem in der Weinpolitik oft geäußerten Hochmut, wobei "wir" Terroir hätten, "die anderen jedoch nur Dreck." Das ist, als sagte einer: "Wir wohnen in einer Nachbarschaft; ihr aber nur in einem Haufen von Häusern in einem bestimmten Stadtteil." Die Bewertung des Terroirs mag zwangsläufig in bestimmten Stufen geäußert werden, entspricht allerdings ein Kontinuum der Qualität, deren Maßstäbe mit Unwissenheit durchdrungen und nie völlig ergründlich sind. Dementsprechend können wir also Terroircharakter einer Parzelle, einer Lage, einer Gruppe von benachbarten Lagen, gegebenenfalls sogar einer Region zuschreiben, mit mehr oder weniger Bestimmtheit oder Vorhersehbarkeit hinsichtlich des Geschmackseinfluss.

Riesling gilt, mit Recht glaube ich, übrigens mitsamt Pinot Noir als besonders terroirempfindliche Sorte, was besagt, sie erweist größtmögliche Geruchs- oder Geschmacksunterschiede, die anscheinend durch kleinstmögliche Abweichungen des Bodens, der Neigung oder des Kleinklimas ausgelöst werden. In den deutschen Rieslinganbaugebieten ist mit einigen Ausnahmen die Verbindung Lage-Sorte klar, wobei relativ wenige Toplagen ähnliches Talent beweisen mit Pinotsorten wie auch mit Riesling. Somit sind Lagenweine und der Ruf einer Lage effektive Aushängeschilder für den deutschen Riesling. In der Wachau ist das schon etwas komplizierter, zumal die meisten Toplagen sich durch Grünen Veltliner sowie Riesling ihren Wert beweisen und umgekehrt. Und im Elsass wird es recht verwickelt, insofern die so genannten Grand Cru Lagen – ohnehin größtenteils weit ausgedehnt, ohne aber dass viele eigentliche Spitzenlagen einmal anerkannt werden – ohne Rücksicht auf Rebsorte klassifiziert worden sind. Es dürften nur angeblich "edle" cégages in Frage kommen, aber die meisten Grand Cru Flächen umfassen mehreren Rebsorten, und es gibt sogar eine Bewegung Richtung Rückkehr zum gemischten Satz.

Um auf ein bestimmtes Terroir hindeuten zu können – speziell um den eigenständigen Charakter eines Rieslings oder einer Rieslingfamilie auszusondern – oder auch überhaupt die vermeintliche Sensibilität jener Sorte als Vermarktungshebel ausnützen zu können, müssen wir dieses Terroir (mit welcher Genauigkeit auch immer) beim Namen nennen können. Hier verhalte ich mich offen gestanden äußerst skeptisch gegenüber Versuchen auch seitens des VDPs, die Anzahl der Lagennamen auf Etiketten zu verringern, auch, oder sollte ich vielleicht sagen "gerade", um der Grossen Gewächse willen. Sogar die Namen dieser Grossen Gewächse sollten so sparsam verwendet werden wie es erforderlich ist, die Schärfe der Spitze sozusagen beizubehalten. Wenn aber jeder Riesling eines talentierten Winzers aus einer Grossen Lage das bestmögliche Aushängeschild sei für die hiesigen Rieslingweine sowie die Lage (um auch den Winzer selbst nicht zu vergessen!), so erwirkt man durch die Verringerung der Anzahl an Lagenweinen nur eine Verringerung der bestmöglichen deutschen Botschafter des Rieslings und des Terroirs. Diese Argumentation setzt wohlgemerkt voraus, es handele sich um durchgängige Qualität sowie um relativ homogene Lagen, eine Beschreibung, die, zugegeben, bei weitem nicht alle der offiziellen deutschen Einzellagen trifft. Es wird oft behauptet, es gehe darum ("auch hier") in Deutschland (oder auch Österreich oder Elsass) eine burgundische Auffassung der Weinqualität, Weinbezeichnung und Weinvermarktung herzustellen; aber ich glaube wohl, diese Behauptung beruhe teils auf Missverständnissen.

Nehmen wir ein realistisches Beispiel. Ein vigneron bourguignon besitze, sagen wir mal, eine gar typische Aufteilung der Fläche: 25% davon beträgt appellation Bourgogne, größtenteils aus Flachlagen bestehend, die unterhalb der route nationale liegen; 45% villages – sprich Lagen, die weder als premier noch als grand cru klassifiziert werden; 25% premier cru; und 5% kostbaren grand cru. Man stelle sich jetzt einen zweiten Winzer vor, der nur 5% Bourgogne; 20% villages; 35% premier- und 40% grand cru im Besitz hat. Was meinen Sie, wie dieser darauf erwidern würde, wenn man ihn ermahnen sollte: "Sie machen tolle Weine, nur passen sich diese unserer Klassifikationspyramide nicht an; sie sollten einen Teil ihrer premiers und grands crus ins village und ihre villages Weine ins Bourgogne deklassifizieren, dann wäre alles recht.“ Die Antwort wäre wahrscheinlich teils der Veröffentlichung ungeeignet, bestünde aber zweifelsohne prinzipiell aus gerade einer Verteidigung des Terroirs, worum es bei der Klassifizierung angeblich gehe. Dass viele deutsche Winzer eine Quantität an Grossen Gewächsen keltern, die nicht nur klein ist im Vergleich zu ihrer entsprechend klassifizierten Fläche, sondern auch oft der Anzahl der Lagen nach weniger, ist vielleicht in gewissen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen erklärlich, keineswegs aber, denke ich, vorbildlich. Ich kenne jedenfalls kaum einen burgundischen Winzer, der weniger grands crus abfüllt als er Besitz in einzelnen grand cru Lagen hat! Ebenso haben gewisse Weingüter beim Lotto der Erbschaft Glück, so auch ganze Gegenden. Es gibt in dem einen Anbaugebiet Lagen, die auf Etiketten von VDP-Miglieder nicht einmal erwähnt oder nur mit Buchstaben angedeutet werden dürfen, deren längstbewiesene Qualität jedoch Winzer in anderen Anbaugebieten sich glücklich hätten schätzen sollen, wenn sie solche Lagen besäßen und als Grosse Gewächse hätte bezeichnen können. Und da gerade von Buchstaben auf Etiketten die Rede war, die ungeheure Menge an "R" und "S" nicht außer Acht gelassen, so ist die neuerliche Wucherung der Abkürzungen, Fantasienamen, Geologienamen, Decknamen ("Alte Reben" - noch mal irgendjemand), also weingutsinterner Bezeichnungen und Gepflogenheiten aller Art, jedenfalls für Weinliebhaber, die nicht ihren ganzen Wein direkt von zwei oder drei Gütern beziehen, völlig verwirrend. Was sollen aber die armen Winzer tun, insofern ihre Lagen oder Parzellennamen von welchen Behörden auch immer verdrängt werden; die nicht-trockenen Weine verwaist werden; ihre einzelnen Weinchargen jedoch starrsinnig ihren eigenen geschmacklichen Charakter beibehalten, wobei die eine Art dem einen Kunden, die andere einem anderen schmeckt und dem Rieslingfreak den direkten Vergleich anmacht? Denn es verlockt und verkauft sich Terroir – als Zuhause des Weines und als Quelle der Eigenständigkeit. Doch auch auf breitester Front scheinen Deutsch sprechende Behörden davor zurückzuscheuen. Auf dem Etikett eines Gutsrieslings namens "Mosel" beispielsweise kann ich nicht einmal mehr herausspüren, ob dieser an der Saar, im Ruwertal, um Bernkastel herum oder in den entfernten und entsprechend eigenständigen Terrassen der Untermosel gewachsen ist. Wer in Österreichs Weinviertel die unglückliche Sehnsucht danach hat, sich oder auch sein Gebiet mit Riesling einen Namen zu machen, darf keineswegs "Weinviertel" als Herkunft am Etikett erwähnen – dafür müsse der Wein ein Grüner Veltliner sein – sondern bloß "Niederösterreich." Allerdings steht ihm jedenfalls frei, die Lage anzugeben.

Wenn es um Lagen geht, wäre es, scheint mir, aus mannigfacher Hinsicht vorteilhaft, die echte Nomenklatur der Côte d'Ors (oder die vergleichbare Freiheit Österreichs oder Elsass) zu adaptieren. Als Côte d'Or Winzer dürfte man beliebig den Namen seiner im Kataster eingetragenen Lage auf das Etikett schreiben, und dadurch versuchen, dieser das bisschen Ruf zu verleihen. Der Kunde, also "der Markt", wenn Sie's so ausdrücken wollen, wird den Wert entscheiden, was aber nur möglich ist, wenn man die Herkunft des Weines überhaupt nennen und dadurch erkennen kann. Es ist dieses Wirken des Marktes, dass trotz Klassifizierung gut ein halbes Dutzend Weine von Vosne Romanée premiers crus durchgängig einen höheren Preis erlangen als die aus den benachbarten grands crus Échezeaux und Clos Vougeot; oder weswegen die vielen Meursault Abfüllungen eines Fichets, Javilliers oder Roulots längst mit erstklassigen Preisen und Ruf belohnt wurden, obwohl sie nur den geringsten Besitz hatten in premier cru Flächen. Gerade in Deutschland, wo so viele einst renommierte Lagen in Unbekanntheit oder schlimmer noch Ungepflegtheit geraten sind – man gucke nur mal auf den alten Steuerkarten die dunklen Flecken sowie ganzen Streifen an, die jetzt für die meisten Weinliebhaber terra incognita sind – wo aber Helden, Träumende, Ehrgeizige, vor allem Hartnäckige und hart Arbeitende jetzt allmählich auftreten, die dafür sorgen wollen, dass diese oder auch andere noch nie ganz bekannte Lagen zu ihrer Geltung kommen; gerade hier wäre es äußerst schade, wenn Winzer, die es mit ihren vielversprechenden oder historisch sich bewiesenen Lagen gut meinen und machen, über ihre Weinbergs- und Kellerarbeit hinaus noch das Recht erkämpfen müssten, diese Lagen beim Namen zu nennen, ob eines verfehlten, längst veralteten Gesetzes oder auch einer wohlgemeinten Klassifizierung wegen.

Den vielen vernachlässigten oder unzureichend bekannten Weinbergslagen und ihren Verfechtern (von denen zu oft das gleiche behauptet werden kann) zu gedenken, bringt mich zum sich wölbenden Thema des gesamten Konkreten: Mensch, Rebe und Landschaft, insofern nicht unter der Rubrik "Terroir" schon inbegriffen. In diesem Bereich muss das Streben nach Weinqualität und der Kampf um die Existenz des qualitätsorientierten Weinbaus eine Rolle bei der Vermarktung des Rieslings und ihrer regionalen Eigenständigkeit spielen. Niemand weiß, und dies wäre sicherlich ortschaftsabhängig, wie viele Winzer und was für eine Flächengröße wegfallen müsste, bis auch die übrig gebliebenen Rebflächen oder die Arbeit einer Winzerelite, die diese bewirtschaftet, auch dadurch gefährdet sein müssten. Selbstverständlich werden hier viele Faktoren entscheidende Rollen spielen, vom Einfluss der Brachflächen auf benachbarten Weingärten bis hin zur Fortdauer und zum Preisniveau des Fassmarktes sowie Erhaltung und Aussehen der Architektur und der Landschaft. Aber wer möchte wahrlich das große Experiment oder genauer gesagt die vielen, oft schmerzlichen örtlichen Experimente begrüßen, die allein eine Antwort auf diese Frage werden geben können, auch wenn sie schon überall auf der Weinkarte Europas sich anspielen? Wenn es Platz gibt für "pyramidenartiges" Denken, dann sicherlich hier.

Das Gesamtbild des Weinbaus ob in Frankreich, Österreich oder Deutschland, das der weiteren Welt vermittelt werden muss, besteht aus vielmehr als schönen Fotos und auch aus mehr als der Qualität im Glas. Und selbst wenn es sich um ganz bekannte touristische Ausflugsorte handelt, was im Elsass und in den deutschen und österreichischen Weinanbaugebieten größtenteils schon der Fall ist, so bedarf es noch mehrerer weiterer Schritte in Handeln und Denken, bis man seinen Gästen und der weinfreundlichen Außenwelt überhaupt, einen Zusammenhang übermitteln kann zwischen einerseits dem Charakter des Menschen und der Landschaft, andererseits der Eigenständigkeit und Qualität des Weines. Die Winzer des Mittelrheins und benachbarten Rheingaus, zum Beispiel, sind gerade dabei darüber nachzudenken, wie sie ihren in 2002 erhaltenen Status als UNESCO Welterbe ausnützen können, um den Ruf ihres Rieslings (und Pinots) weltweit zu verbreiten und den Charakter jener Weine international einzuprägen, wobei sie mit ihren österreichischen Nachbarn aus der ebenso UNESCO-anerkannten Wachau und dem Neusiedlerseegebiet einen
regen Ideenaustausch werden genießen können. Inzwischen hat die Mittelmosel bekanntlicherweise ihre Chancen auf Anerkennung als Welterbe beinahe verspielt. Aber die Aufgabe, die ich meine, besteht ganz abgesehen von Welterbe oder Tourismus, auch unter Winzern und erfahrenen Weinliebhabern,Professionellen und Journalisten, glaube ich, fehlt oftmals ein Sinn für Wein als Offenbarung einer gesamten Lebensweise (und umgekehrt), den zu begreifen ich Ihnen übrigens das neulich erschienene, kleine aber feine Buch Terry Theises „Reading Between the Wines“ empfehlen möchte.

Jener Mangel an Zusammenhängen nimmt bisweilen fast lächerliche Formen an. Wer unter uns, Terroristen wie wir zweifelsohne sind, glaubt nicht an einen Zusammenhang – keine bloß unvermeidliche Koinzidenz – von Wein und Stein? Doch bieten etliche viele Weingutsprospekte und teuer produzierte Weinführer ausführliche Erklärungen, Karten, und Fotos, die aus einem Lehrbuch der Geologie hätten ausgeschöpft werden können (und vielleicht wurden, denn es handelt sich oftmals um Fachautoren), ohne dass man nach der Lektüre die kleinste Ahnung hat, wie (angenommen dass) bestimmte Steinformationen und Böden den Geruch und Geschmack des Rieslings beeinflussen. Zugegeben, wie überhaupt mittels Pflanzenphysiologie Stein und Boden wahrnehmbare Eigenschaften einem Wein verleihen, ist größtenteils unerforscht und geheimnisvoll. Wäre es aber dann nicht zweckmäßiger, keine geologische Minutiae, sondern eben diese wörtlich genommen wundervolle Tatsache des Zusammenhangs hervorzuheben, dessen Bestehen der Weinliebhaber am Glas sich auf schmackhafte Weise beweisen kann? Hier geologische, dort aromatische und geschmackliche Vielfalt; hier Schiefer, dort cantus firmus über welchem die Melodien des Rieslings umso klarer und raffinierter klingen können; hier Quarzitadern, dort mundwässrige Salzigkeit – so etwa sollte es vielleicht heißen.

Seltsamerweise, auch größtenteils übersehen, gefährdet, sogar geschadet bei den angeblich qualitätsstrebenden Bemühungen von Winzern und ihren Verbänden sowie von Weinwissenschaftlern und Behörden, sind die Reben selbst, oder genauer gesagt, das Reberbe, auf der langzeitig die Qualität sowie die Eigenständigkeit des Rieslingweines eines gewissen Gebiets, Orts, oder Lage zu beruhen geglaubt wurde – mit Recht wie mir scheint. Ich meine hier nicht nur den Wert sowie die oftmals geringe Wertschätzung der alten Reben, die fast pauschal bei der Flurbereinigung untergegangen sind, sondern die genetische Vielfältigkeit und Einmaligkeit, die oft damit für immer verloren geht. Reben können alt werden. Die kollektive Fundgrube von Generationen, sogar Jahrhunderten der sorgfältigen, erfahrenden Selektionsarbeit, die sich bis ins Mittelalter zurück erstreckt, jedoch kann kein Klonforscher wiederherstellen. Nicht nur müssen die Winzer und Wissenschaftler den wahren Wert dieses Erbes erkennen und zusammen mit Rebzüchtern um ihre Forschung und Vermehrung sorgen, sondern man soll ihren Zusammenhang mit dem Charakter und der Eigenständigkeit des daraus entstehenden Weines hervorheben und vermarkten. In Burgund neuerlich hat eine Gruppe führender Winzer unter Leitung Aubert de Villaines eine langfristige Notaktion initiiert, die letztendlich zur Rebbank führen sollte. Beschämenderweise wird andernorts das Thema Reberbe nicht nur ignoriert, sondern gelegentlich eine Klonpolitik ausdrücklich betrieben. Ich beeile mich hinzuzufügen, dass ich Rebklone und Klonforschung keineswegs verachte. Aber das Zusammentreffen von höchster Weinqualität und alte Rebselektionen ist bemerkenswert, vor allem was Riesling und Pinot angeht, und ich vermute, dass nur ein vielfältiger Cocktail an Klonen als halbwegs angemessener Ersatz überhaupt in Frage kommen kann. Kein Staat soll wohl versuchen, bestimmte Klone zu bevorzugen und schon gar nicht zu erfordern.

Das sind alles gar keine leichten Aufgaben, die ich gerade anvisiert habe: Vielfalt der Stilistik und der Lagen bewahren und dennoch auch klare Typizität; Tradition wieder entdecken und auch den Mantel der Modernität tragen; die Bedeutung der Geologie, der Genetik, und der Geschichte als Quellen des Charakters zu betonen, ohne den Reiz und die Anreizung des Rieslings oder die Aufmerksamkeit des Weinliebhabers zu verlieren; die Eigenwilligkeit des Menschen mit der Eigenständigkeit des Weines verknüpfen, vielleicht auch mal versöhnen zu können. Doch wie verwirrend sind eigentlich diese Herausforderungen, gemessen an der Aufgabe, die jedem qualitätsstrebenden Winzer, der seinen Boden und seine Reben selber sorgfältig pflegt und seinen Wein "anlehrt" (oder vom Wein belehrt wird), alljährlich bevorsteht? Wie bei dieser Weinbergs- und Kellerarbeit sollten die Winzerverbände, Weinprofessionelle, Journalisten oder gar Bürokraten sich nicht im Dickicht der Details – aber auch nicht in zu hoch gesteckten begrifflichen Bauprojekten — verlieren, genauso wenig, wie es dem Winzer nützt, lahm gelegt angesichts der reinen Mannigfaltigkeit an Eventualitäten, seinen Wein im Stich zu lassen; oder im Gegensatz, den Wein nach unbiegsamen Regeln oder Prinzipien zu steuern oder zu beurteilen. Nichts geht über Fingerspitzengefühl, und wehe uns, wenn wir uns nicht von dem Wein überraschen, ja gar widersprechen lassen!

David Schildknecht
The Wine Advocate, USA

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